ABOUT THE PROJECT

Was ist OSTWEST MONITORING?

Das Projekt, an wen es sich richtet und warum es gebraucht wird

Eine der Besonderheiten des geographisch wie auch kulturell so vielfältigen Raumes, den man mangels eines anderen Begriffs gemeinhin als „postsowjetisch“ bezeichnet, ist seine Verschlossenheit und seine unzureichende oder nur seltene Präsenz auf der Weltbühne. Länder, die einmal Teil der Sowjetunion gewesen sind (viele gegen ihren eigenen Willen), bleiben oft im Schatten. Über sie wird wenig geschrieben oder erst dann, wenn die neusten Ereignisse dazu zwingen, sich die Gesichter und Schicksale derjenigen genauer anzuschauen, die in Armenien, Belarus, Georgien, in der Republik Moldau, in der Ukraine, in Kasachstan, Kirgisistan oder Aserbaidschan leben. In der Regel handelt es sich dann um tragische Ereignisse, die vonseiten der Weltgemeinschaft eine schnelle, sofortige Reaktion erfordern.

In solchen Momenten wird der Mangel an Expertenwissen besonders deutlich, wie auch die Tatsache, dass es nach wie vor nur wenige Quellen gibt, die darüber informieren könnten, was in diesen Ländern vor sich geht, was die Menschen, die dort leben, beschäftigt, worüber sie reden, worauf sie hoffen. Und eine regelmäßige Berichterstattung abseits anlassgebundener Aufmerksamkeit gibt es erst recht nicht. Ein kontinuierliches Gespräch darüber, wie der kulturelle Raum in diesen unterschiedlichen Ländern jeweils funktioniert, welche Kraftlinien ihn lebendig machen, welche Themen zu Kontroversen führen und wie sich diese Diskussionen auf Themen und Sujets beziehen, die auch die Leserinnen und Leser im Westen beschäftigen, ein solches Gespräch fehlt schlicht.

Es ist vermutlich an der Zeit, diese Situation zu ändern.

Denn diese gähnende Leere wird angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine offensichtlicher denn je für alle, die noch auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion leben,. Nicht nur der Westen weiß wenig über uns Bescheid, wir selbst wissen viel zu wenig übereinander, und die russische Sprache verliert allmählich die Rolle einer universellen Kommunikationssprache. Nichtsdestotrotz verlangt Russlands Krieg gegen die Ukraine (und die ständige Gefahr, die Russland für die Nachbarländer wie auch für die eigenen Bürgerinnen und Bürger darstellt) einen neuen Grad an Aufmerksamkeit für diejenigen, die nicht nur durch ihre geographische Lage miteinander verbunden sind, sondern auch durch die gemeinsame Geschichte und ein gemeinsames Trauma, Aufmerksamkeit für die eigenen Nachbarn, für ihre Probleme und Hoffnungen.

Der Dialog zwischen den Ländern, Wissen und Verständnis sind unerlässlich. Es braucht konsequente Anstrengungen, Kultur- und Bildungsprogramme, gegenseitigen Austausch, um Sprachbarrieren zu überwinden. In den letzten Jahrzehnten gab es aufgrund der historischen und wirtschaftlichen Bedingungen wenig Möglichkeiten für diese Art des Austauschs zwischen Ländern wie Kasachstan und der Republik Moldau etwa; es gibt praktisch keine Bücher oder Filme, die im postsowjetischen Raum erschienen und aus einem anderen Land als Russland gekommen sind. Der kulturelle Export funktioniert nicht mehr und die Erfolgsbahnen einzelner Autorinnen und Autoren haben das nur noch mehr verdeutlicht. Die russische Sprache könnte theoretisch eine Basis für das Gespräch zwischen denjenigen Ländern sein, in denen sie noch bis vor Kurzem ein obligatorischer Teil des Schulprogramms gewesen ist. Aber zu den charakteristischen Zügen der russischen Kultur der letzten Jahrzehnte gehört die imperiale Gleichgültigkeit gegenüber dem, was im sogenannten „nahen Ausland“ passiert: Für Russland ist der postsowjetische Raum zu einer Art Peripherie, wenn nicht gar Provinz geworden. Trotz der Bemühungen einzelner Kulturmittlerinnen und Kulturmittler und unabhängiger Institutionen gibt es nur wenige Übersetzungs- und Ausstellungsprojekte. Die revolutionären Ereignisse in Belarus 2020 etwa ließen das russische Publikum die belarussische Dichtung entdecken, die Protestkunst und die Theaterprojekte, aber die staatliche Zensur (und die Kontrolle der Medien) hat ein Interesse breiterer Kreise verhindert. Viele Jahre hat es in Russland praktisch keine Medien gegeben, die kontinuierlich darüber berichtet hätten, in welchem Verhältnis Kultur, Politik und gesellschaftliches Leben in den einzelnen Ländern, die man traditionell als vertraut und bekannt wahrnimmt, zueinander stehen. Jetzt, wo unabhängige Medien in Russland zensiert und bedroht werden, können dort solche Austausch-Plattformen auch nicht mehr entstehen.

Dabei ist es aber nicht nur von Bedeutung, worüber man lesen und sprechen möchte, sondern auch, wer es tut. Wenn eines der sogenannten postsowjetischen Länder im Mittelpunkt des Interesses der Außenwelt steht, so ist es in der Regel eine Außenstehende oder ein Außenstehender, der oder die über dieses Land schreibt. Journalistinnen und Journalisten, die den Auftrag erhalten, darüber zu berichten, können Erfahrung mit dieser Region haben (oder auch nicht), sie können die Sprache, die man dort spricht, beherrschen (oder auch nicht); es ist eine Frage der Möglichkeiten, die dem Auftraggeber zur Verfügung stehen. Aber je kleiner das Land und je weiter es von Europa entfernt ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass zufällige Faktoren, wie persönliche Beziehungen und Adressbücher von Freunden bestimmen, wer den Artikel schreibt. Dabei kann allein die Sprachbarriere den Journalistinnen und Journalisten den Zugang zu lokalen Veröffentlichungen und Blogs erschweren. Weil der kulturelle Raum so verschlossen ist, sind die Namen von Intellektuellen und anderen Personen des öffentlichen Lebens oft nicht genug bekannt. Das Bild, das schließlich entsteht, kann bisweilen mehrfach gefiltert und dadurch verzerrt: sei es aufgrund der mangelnden Vorkenntnisse des Themas, sei es, weil der lokale Kontext missverstanden wird oder weil es durch Zeitdruck zu Fehlern kommt. Natürlich entstehen mitunter auch ganz ausgezeichnete Texte, aber auch diese können die Zeugnisse derer, die die Situation von innen kennen, nicht ersetzen.

Wie also könnte die Alternative aussehen?

● Eine horizontale Plattform, auf der einzelne Länder paritätisch vertreten sind
● Eine freie Redaktionspolitik ohne  Einmischung von Außen
● Unterschiedliche, voneinander unabhängige Länder-Ressorts
● Kontinuierliche Informationen über jedes der teilnehmenden Länder (derzeit: Armenien, Belarus, Georgien und Republik Moldau)
● Expertise: Chef-Redakteurinnen und -Redakteure verschiedener Länder-Ressorts, Journalistinnen und Journalisten, Analytikerinnen und Analytiker, unterschiedliche Intellektuelle sprechen jeweils über ihr Land
● Vielsprachigkeit: Die Materialien werden in der Originalsprache veröffentlicht und ins Englische, Russische und Deutsche übersetzt
● Rotation: Einmal im Jahr wechselt die Chef-Redakteurin bzw. der Chef-Redakteur des einzelnen Länder-Ressorts, um einen breiteren Teilnehmerkreis miteinzubeziehen

OSTWEST MONITORING ist ein mehrsprachiges Projekt, das Intellektuellen aus Armenien, Belarus, Georgien und der Republik Moldau eine Stimme gibt (in Zukunft nehmen wir auch noch weitere Länder in den Blick). Für Brüssel und Berlin sind diese Staaten weit weg, kennt man aber die Innenperspektiven ändern sich auch die geistigen Landkarten und auch die Gespräche über den Osten, den Westen und ihre Beziehung zueinander wird interessanter. Wo auch immer sich unsere Autorinnen und Autoren, unsere Leserinnen und Leser befinden, wir bieten, was heute oft noch fehlt: Informationen aus erster Hand und die Möglichkeit, neue, umfassende Kenntnisse voneinander zu gewinnen.

Unser Publikum sind all diejenigen, die an Informationen über das intellektuelle und gesellschaftliche Leben in diesen Ländern interessiert sind – diese werden ihnen vermittelt von Menschen, die das Land von innen kennen und so ein umfangreicheres, oftmals sogar überraschendes Bild vermitteln können.

Redaktionen finden bei OSTWEST MONITORING außerdem einen Pool von Expertinnen und Experten: Die Kontaktdaten unserer Redakteurinnen, Redakteure, Autorinnen und Autoren geben wir gerne an internationale Medien weiter.

Für diejenigen, die unsere Publikationen in der Originalsprache oder auf Englisch und Deutsch nicht lesen können, fügen wir eine russische Fassung hinzu und versprechen, dass es mit der Zeit noch mehr Sprachen geben wird. Russland selbst ist beim OWM nicht vertreten. Dieses Thema bedarf der weiteren Reflexion. Davon abgesehen meinen wir, dass das Gespräch über das, was Armenien, Belarus, Georgien und Moldau heute bewegt, auch ohne Russland möglich ist.

Gemeinsam möchten wir bei OWM eine neue Karte schaffen für einen Raum, der noch keinen passenden Namen hat, dafür aber Gesichter, Namen, Stimmen und das Bedürfnis, gesehen zu werden.

Viel Spaß beim Lesen!


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